Die ZIF begrüßt den Beschluss zur Ratifizierung der sog. Istanbul-Konvention (CETS 210) am 07.07.2017 durch den Bundesrat. Nähere Informationen zum Übereinkommen sind hier zu finden. Es wird in Deutschland voraussichtlich zum 01. Januar 2018 in Kraft treten.
Der Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt ist eine Pflichtaufgabe des Staates. In Deutschland ist bisher kein abgestimmtes und systematisches Handlungskonzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder erkennbar gewesen. Dies könnte sich durch die in der Konvention vorgesehenen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen jetzt ändern.
Mit der Ratifizierung des Übereinkommens CETS 210 des Europarats sind in Deutschland, nach in Kraft treten der Konvention, erstmalig koordinierte und systematische Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf allen Gebieten vorgesehen, u.a. Prävention, wirksamen Schutz und bessere Unterstützung gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder, verbesserte Gesetzgebung, erfolgreiche Strafverfolgung sowie systematische Überwachung (Monitoring) und dafür notwendige Forschung. Um diese Maßnahmen tatsächlich vollständig umzusetzen sind allerdings noch erhebliche Anstrengungen seitens der Bundesregierung erforderlich.
Deutschland muss eine staatliche Koordinierungsstelle zur Umsetzung des Übereinkommens einsetzen (vgl. Art. 10). Diese muss wirkungsvoll mit den NGO's zusammenarbeiten. Wir erwarten dafür eine sinnvolle Struktur zur Kooperation mit der Praxis, z.B. in Form eines Praxisrates. Die autonomen Frauenhäuser und ihre Vernetzungsstelle, die ZIF, beteiligen sich mit ihrem Sachverstand gerne an der Entwicklung eines koordinierten und systematischen Handlungskonzeptes und an der konkreten Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen. Für die innerstaatliche Überwachung der Umsetzung der Istanbul-Konvention ist eine unabhängige Monitoringsstelle erforderlich.
Wir sehen nach der Ratifizierung noch erhebliche Mängel bis zur vollständigen Umsetzung der Konvention, insbesondere:
Bereitstellung von Schutz und Unterstützung
Die in Artikel 22 und Artikel 23 der Konvention vorgesehene Bereitstellung von Schutz und Unterstützung ist in Deutschland mangelhaft.
Artikel 22 - Spezialisierte Hilfsdienste
1. Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um in angemessener geographischer Verteilung spezialisierte Hilfsdienste für sofortige sowie kurz- und langfristige Hilfe für alle Opfer von in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Gewalttaten bereitzustellen oder für deren Bereitstellung zu sorgen.
2. Die Vertragsparteien stellen für alle Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, und ihre Kinder spezialisierte Hilfsdienste bereit oder sorgen für deren Bereitstellung.
Hierzu möchten wir zunächst den CEDAW-Alternativbericht zum 7./8. CEDAW-Staatenbericht der Bundesregierung zitieren:
„35 % der Frauen in Deutschland haben seit dem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren – meist durch den eigenen Partner (22 %); 2014 wurden 160 Frauen (2013: 138; 2012: 106) von ihrem (Ex-)Partner getötet. Der Schutz von Frauen gegen Partnergewalt ist lückenhaft und wenig wirksam, für besonders vulnerable bzw. stark diskriminierte Gruppen nahezu inexistent.“ (CEDAW-Alternativbericht 2016, S. 19)
Der Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder aus dem Jahr 2012 zeigt deutlich, dass Erreichbarkeit und Qualität des Schutzes für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder außerordentlich unterschiedlich sind. Sie sind unter anderem abhängig davon,
- in welchem Bundesland gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder leben: hier sind deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern erkennbar sowohl in Art und Anzahl, als auch in der Erreichbarkeit von spezialisierten Unterstützungsangeboten;
- in welchem Landkreis bzw. welcher Stadt sie leben: vor allem in ländlichen Gebieten sind nur wenige oder weit entfernt gelegene und schlecht erreichbare spezialisierte Unterstützungsangebote verfügbar, in mindestens 125 Städten und Landkreisen existieren gar keine;
- ob sie oder ihre Kinder z.B. zu einer der folgenden Gruppen gehören:
Studentinnen, Auszubildende, Schülerinnen, Frauen mit eigenem Einkommen/Vermögen, Geflüchtete Frauen, EU-Bürgerinnen, Diplomatenfrauen oder UN-Mitarbeiterinnen, Frauen mit prekären Aufenthaltsstatus, mit Residenzpflicht oder Wohnsitzauflagen, Menschen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen, psychiatrie-erfahrene Frauen, Frauen mit älteren Söhnen, suchtmittelabhängige Frauen, Frauen mit Haustieren u.v.m.
Ihnen allen wird der schnelle und unbürokratische Zugang zu Schutz und Unterstützung durch die in vielen Bundesländern vorherrschende Einzelfallfinanzierung von Frauenhäusern über sog. Tagessätze deutlich erschwert oder ganz unmöglich gemacht.
Durch die Tagessatzfinanzierung wird Gewalt gegen Frauen individualisiert und die betroffene Frau wird zur „Problemträgerin“ gemacht, die für die Kosten ihres Schutzes selbst aufkommen soll. Allen Tagessatz-Modellen gemeinsam ist, dass die gewaltbetroffenen Frauen und ihre Kinder einen Anspruch auf Leistungen nach dem entsprechenden Sozialgesetzbuch haben müssen, damit die zuständige Behörde (Jobcenter bzw. Sozialamt) die Zahlung der Tagessätze an das Frauenhaus übernimmt. Für die gewaltbetroffenen Frauen und ihre Kinder erschwert die Tagessatzfinanzierung von Frauenhäusern sowohl den Zugang zum Frauenhaus, als auch die Entwicklung einer eigenständigen Perspektive. Frauen, die selbst Erwerbseinkommen haben, werden durch hohe Tagessätze in Frauenhäusern dazu gezwungen, Leistungen des SGB II zu beantragen, die sie sonst nicht benötigen würden. Das schreckt Frauen mit eigenem Einkommen ab, solche Frauenhäuser aufzusuchen. Frauen, die – zusammen mit ihrem Ehemann – im eigenen Haus gewohnt haben oder anderes Vermögen haben, über das sie nicht unmittelbar verfügen können, müssen SGB II-Leistungen als Darlehen beantragen und sich damit für die Finanzierung der Frauenhaus-Tagessätze zum Teil hoch verschulden.
Dies alles sind für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder zusätzliche, oft unüberwindbare Hürden in einer Situation, in der schnelle und unbürokratische Unterstützung gebraucht wird, um sich aus der gewaltgeprägten Beziehung zu befreien.
Frauenhäuser sind stadt-, kreis- und länderübergreifende Unterstützungs- und Kriseneinrichtungen und ihre Finanzierung muss für eine Umsetzung der Artikel 22 und 23 der Istanbul-Konvention einzelfallunabhängig und verlässlich auf gesetzlicher Grundlage gewährleistet werden. Wir halten eine bundesgesetzliche Regelung für erforderlich, weil nur hierüber der gleichwertige Zugang zum Schutz und Hilfe bundesweit verbindlich geregelt werden kann. Nur über eine bundeseinheitliche Regelung kann der erforderliche Schutz und die Unterstützung über Stadt und/oder Landesgrenzen hinweg ohne Einschränkung (frei von z.B. Zuständigkeits- oder Finanzstreitigkeiten, frei von ausländerrechtlichen Hindernissen) sichergestellt werden.
Artikel 23 - Schutzunterkünfte
Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen, um Opfern, insbesondere Frauen und ihren Kindern, eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen und aktiv auf Opfer zuzugehen.
Bestandteil jeder wirksamen Strategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen muss der schnelle, sichere, unbürokratische und kostenlose Zugang zu Schutz und bedarfsgerechter Unterstützung für alle von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder sein.
Im Entwurf der Denkschrift zur Ratifizierung der „Istanbulkonvention“ ist zu lesen: „Trotz punktueller Versorgungslücken und Zugangsschwierigkeiten für bestimmte Zielgruppen kann nach dem Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass gewaltbetroffene Frauen regelmäßig unmittelbaren Schutz vor Gewalt sowie Beratung und Unterstützung in professionell dafür ausgelegten Einrichtungen finden. Anhalts-punkte für eine strukturelle oder flächendeckende Unterversorgung bestehen nicht.“ (siehe S. 53)
Dieser Darstellung widersprechen wir entschieden:
Es gab in Deutschland laut Lagebericht der Bundesregierung (August 2012) rund 350 Frauenhäuser mit rund 6800 Plätzen (Betten) für Frauen und ihre Kinder. Dies entsprach einem Frauenhausplatz (=Bett) auf rd. 12.000 Einwohner/-innen. Das Vorhalten von mittlerweile (Februar 2017) nur noch rd. 6700 Frauenhausplätzen bei einer Gesamtbevölkerung von 82,18 Millionen hat die Platzquote noch weiter auf 1:12.250 verschlechtert. Die Bundesrepublik Deutschland erfüllt damit nicht annähernd die Empfehlung des Europarates vom 21.06.2006, die einen Frauenhausplatz pro 7.500 Einwohner/-innen (Gesamtbevölkerung) als angemessen zugrunde legt (COE Task Force to Combat Violence against Women, including domestic violence 21.06.2006 : …“provide resources for an adequate number of safe shelters for women victims of violence who have to flee from violence (one place in a women’s shelter per 7.500 inhabitants) as well as for women’s advocacy services and crisis centres in all regions of the country and provide these services with the necessary human and financial resources”).
Die Istanbulkonvention (CETS 210) hält einen „Family Place“, also ein (Familien-)Zimmer, pro 10.000 Einwohner/-innen (Gesamtbevölkerung) für angemessen. Ein Platz für eine Familie ist hier nicht mit einem Bett gleichzusetzen und im Übereinkommen wird nicht Bezug genommen auf die weibliche Bevölkerung, sondern auf die Gesamtbevölkerung. So entspricht die Anzahl der in bundesdeutschen Frauenhäusern vorgehaltenen Plätze weder der Empfehlung der Task Force des Europarates, noch der Empfehlung der Istanbulkonvention.
Angemessen für Deutschland sind hiernach rd. 10.950 Plätze (=Betten) oder 8200 (Familien)-Zimmer.
Es fehlen also in Deutschland rund 4.250 Frauenhausbetten oder 3.180 Frauenhauszimmer.
In verschiedensten Zeitungen in der ganzen Republik konnten wir in den letzten Monaten Nachrichten lesen wie „Die Frauenhäuser sind am Limit. Auch im Ruhrgebiet platzen die Frauenhäuser aus allen Nähten.“ (WDR-Bericht am 20.01.2017), „Schongau: Jede zweite Frau muss abgewiesen werden“ (merkur.de 11.01.2017), „Platznot: Im Frauenhaus ist kein Bett mehr frei“ (Holsteinischer Courier 10.01.2017), „Kein Platz mehr in Frauenhäusern“ (Westfalenpost 04.01.2017), „Derzeit muss bayernweit jede zweite Frau in Not abgewiesen werden, weil es nicht genug Plätze gibt.“ (Stadtzeitung Augsburg 02.01.2017), „Frauenhaus: Die Lage ist dramatisch“ (Norddeutsche Rundschau 02.12.2016), „Kreis Pinneberg; Frauenhäuser sind überfüllt“ (Hamburger Abendblatt 21.12.2016), „Zufluchtsstätte für Opfer häuslicher Gewalt ist dauerhaft ausgelastet“ (Hamburger Abendblatt 01.12.2016), „Ortenauer Frauenhaus hat zu wenig Platz“ (baden online 27.11.2016), „Frauenhäuser in Ostwestfalen-Lippe sind überfüllt“ (WDR 25.11.2016), „Überfüllte Frauenhäuser im Südwesten“ (Badische Neueste Nachrichten 03.09.2016), „Berliner Frauenhäuser stoßen an Grenzen ihrer Kapazitäten“ (Radio B2 04.08.2016).
Diese Presseberichte sind nur eine kleine Auswahl. Der Mangel an freien Frauenhausplätzen beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die Großstädte und Ballungsgebiete, sondern hat längst kleinere Städte und ländliche Gebiete erreicht. Manche Frauenhäuser müssen täglich mehrere Frauen wg. Platzmangels ab- bzw. weiterverweisen. An manchen Tagen ist über mehrere Bundes-ländergrenzen hinweg kein einziger freier Frauenhausplatz für Mütter mit Kindern verfügbar.
Im Alternativbericht zum 7./8. CEDAW-Staatenbericht heißt es zum Thema „Platzmangel in Frauenhäusern“:
„So nehmen die ca. 350 Frauenhäuser jährlich rund 18.000 Frauen mit ihren Kindern auf; weitere 18.000 Aufnahmeanfragen müssen abgelehnt werden. Gewaltbetroffene Frauen, die Schutz und Unterstützung suchen, müssen mehrere Hürden überwinden.
Hürde Platzmangel: In Großstädten und Ballungsgebieten gibt es einen klaren Mangel an Frauenhausplätzen, in manchen Städten werden jährlich bis zu 500 Frauen weiterverwiesen. Die durchschnittliche Platzquote in Deutschland liegt bei 1:12.000, vor allem in ländlichen Regionen gibt es zu wenige oder keine Angebote. Mindestens 125 Landkreise/kreisfreie Städte in Deutschland halten kein Frauenhaus vor.“ (CEDAW-Alternativbericht 2016, S. 23)
Ein katastrophaler Mangel an Frauenhausplätzen für Frauen und Kinder mit Behinderungen/ Beeinträchtigungen ist nach wie vor festzustellen, obwohl Studien zeigen, dass Frauen mit Behinderung zu einem viel höheren Anteil von Gewalt betroffen sind als der Bevölkerungs-durchschnitt. Eine Abfrage zu Zugangsbeschränkungen unter den Autonomen Frauenhäusern sowie der o.g. Lagebericht der Bundesregierung von 2012 weisen einen besonders deutlichen Mangel an Schutzangeboten aus vor allem für Rollstuhlfahrerinnen und gehörlose Frauen.
Hierzu der CEDAW- Alternativbericht 2016:
Hürde fehlende Barrierefreiheit: Das Hilfetelefon erreicht zwar Frauen mit Behinderungen (mit Ausnahme von gehörlosen Frauen). Doch nach diesem Erstkontakt erhalten sie meist aufgrund fehlender Barrierefreiheit und mangelnder Ressourcen keine weitere Unterstützung vor Ort. Laut Bericht der Bundesregierung 2012 sind für Frauen mit Behinderungen nur ca. fünf Prozent der Frauenhäuser gut und 65 % eingeschränkt geeignet. Bei Fachberatungsstellen sind 30 % gut und 60 % eingeschränkt geeignet. Öffentliche Gelder für die Schaffung einer flächendeckenden Zugänglichkeit fehlen. Siehe hierzu auch die Stellungnahme vom Weibernetz e.V. - Politische Interessenvertretung behinderter Frauen. 10 bis 15 % der Flüchtlinge in Deutschland haben eine Behinderung oder chronische Erkrankung. Dennoch wird Barrierefreiheit hier komplett ausgeblendet.“ (a.a.O. S. 23f) Darüber hinaus fehlen überall Schutzplätze für Frauen mit älteren Söhnen, psychiatrie-erfahrene Frauen, akut suchtmittelabhängige Frauen und für Frauen, die ihre Haustiere mitbringen möchten.
Artikel 26 - Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind
1. Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei der Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Opfer die Rechte und Bedürfnisse von Kindern, die Zeuginnen und Zeugen von in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt geworden sind, gebührend berücksichtigt werden.
2. Nach diesem Artikel getroffene Maßnahmen umfassen die altersgerechte psycho-soziale Beratung für Kinder, die Zeuginnen und Zeugen von in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt geworden sind, und berücksichtigen gebührend das Wohl des Kindes.
Artikel 31 - Sorgerecht, Besuchsrecht und Sicherheit
1. Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht betreffend Kinder berücksichtigt werden.
2. Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet.
Auch hier erfordert die Umsetzung der Istanbulkonvention (CETS 210) wirksamere Maßnahmen. Der Schutz von Mädchen und Jungen vor ihren gewalttätigen Vätern ist zurzeit in Deutschland mangelhaft. Mädchen und Jungen, die entweder selbst misshandelt wurden oder Zeug*innen der Gewalt des Vaters gegen die Mutter geworden sind, werden immer wieder von deutschen Familiengerichten zum Umgang mit dem gewalttätigen Vater gezwungen – oft mit der Folge weiterer Übergriffe.
Die meisten der mit ihren Müttern schutzsuchenden Mädchen und Jungen sind selbst von physischer, psychischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen oder sie haben die Gewalttaten gegen ihre Mütter miterlebt. Sie haben die Gewalt - mitunter über Monate oder Jahre hinweg - tagtäglich mit angesehen oder mit angehört.
Zahlreiche nationale wie internationale Studien weisen nach, dass auch das Mit-Erleben von „Häuslicher Gewalt“ eine klare Form der Kindeswohlgefährdung darstellt. Die Gewalterlebnisse prägen zutiefst die kindliche Entwicklung und Entfaltung. Das Vertrauen sowie die Sicherheits- und Schutzbedürfnisse dieser Kinder werden grundlegend erschüttert.
Seit der Familienrechtsreform (FamFG) 2009 ist die Situation für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder nach einer Trennung noch gefährlicher geworden. Als besonders problematisch erweist sich das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des FamFG. Danach soll in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren spätestens nach einem Monat eine gerichtliche Anhörung stattfinden, in der ggfs. auch erste Entscheidungen zum Umgang zu treffen sind.
Von der Möglichkeit der Umgangsaussetzung wird in der Rechtspraxis viel zu selten Gebrauch gemacht. Stattdessen wird Müttern fehlende Bindungstoleranz unterstellt, wenn sie den Wunsch ihrer Kinder respektieren, keinen Kontakt mit dem gewalttätigen Vater haben zu wollen.
Erwiesenermaßen ist die Zeit unmittelbar vor und nach einer Trennung von einem
gewalttätigen Mann die gefährlichste Zeit für Frauen und ihre Kinder. In dieser Zeit finden die
meisten gewalttätigen Übergriffe und Morde an Frauen und Kindern statt.
Hier muss der Schutz und die Sicherheit von Frauen und Kindern Vorrang haben vor den Rechten der gewalttätigen Väter.
Zum Schutz von gewaltbetroffenen Migrantinnen enthält die Istanbul-Konvention (CETS 210) mehrere Artikel, deren Umsetzung wir für dringend erforderlich halten:
- Aussetzung eines Ausweisungsverfahrens für gewaltbetroffene Frauen mit ehegatten-abhängigem Aufenthalt nach der Trennung (CETS 210, Artikel 59 Abs. 2)
- Gewaltbetroffenen Frauen soll auf Antrag ein verlängerbarer Aufenthalt erteilt werden, wenn es die persönliche Situation der Frau erfordert (ebd. Art. 59, Abs. 3).
- Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts soll als Asylgrund anerkannt werden. Dazu sollen gesetzgeberische Maßnahmen getroffen werden, um geschlechtersensible Aufnahme- und Asylverfahren und dazu gehörige Hilfsdienste zu gewährleisten (vgl. ebd., Art. 60)
- Außerdem sind die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen, „um sicherzustellen, dass Opfer von Gewalt gegen Frauen, die des Schutzes bedürfen, unabhängig von ihrem Status oder Aufenthalt unter keinen Umständen in einen Staat zurückgewiesen werden, in dem ihr Leben gefährdet wäre oder in dem sie der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen werden könnten“ (vgl. ebd., Art. 61)
Mit großer Sorge verfolgen wir die voranschreitende Aushöhlung der Asyl-und Aufenthaltsrechte von Migrantinnen und deren Kindern. Dazu gehört die Erhöhung der Ehebestandszeit nach §31 AufenthG auf 3 Jahre, die Wiedereinführung der Residenzpflicht für Geflüchtete und erleichterte Abschieberegelungen für Menschen, die Deutschland verlassen müssen, obwohl ihnen in ihren sog. „sicheren Herkunftsländern“ Verfolgung droht. Für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder gibt es jedoch keine sicheren Herkunftsländer. Die Anhebung der Ehebestandszeit hat, wie von uns befürchtet, die massiven Probleme für von Gewalt betroffene Migrantinnen weiter verstärkt. Sobald eine Frau in ein Frauenhaus flüchtet, endet die Ehebestandszeit. Nach § 31 Abs 2 AufenthG kann eine Frau zwar unabhängig von der inzwischen auf 3 Jahre hochgesetzten Ehebestandszeit ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erlangen, wenn es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Für die Härtefallanträge müssen jedoch Beweise für die erlebten Gewalttaten erbracht werden. Die Beweisführung ist schwierig, denn „Häusliche Gewalt“ findet meist ohne Zeug*innen in den eigenen vier Wänden statt und so wird die erlebte Gewalt meist von den Ausländerbehörden angezweifelt. Wird der Frau nicht geglaubt – und das ist häufig der Fall, wenn es keine objektiven Beweise gibt - muss sie zum Ehemann zurückkehren oder ausreisen. Die Prüfung der Härtefallanträge dauert zudem in der Regel sehr lange. Das führt dazu, dass Frauen über viele Monate im Frauenhaus verbleiben müssen, bis der Fall beschieden ist, da sie mit unklarer aufenthaltsrechtlicher Lage keine eigene Wohnung anmieten können.
Im Alternativbericht der CEDAW-Allianz zum 7./8. CEDAW-Staatenbericht der Bundesregierung weist die Allianz daraufhin, dass Migrantinnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben in Deutschland brauchen.
Die CEDAW-Allianz fordert:
- für die gesetzliche Anerkennung von frauen- und genderspezifischen Fluchtgründen in den zuständigen Behörden zu sensibilisieren und diese umzusetzen;
- den Bedarfen von Frauen, von LSBTIQ und Frauen mit Behinderungen, in den Erstaufnahmelagern Rechnung zu tragen. Dazu sind Konzepte und Standards zu entwickeln und zu evaluieren; (CEDAW-Alternativbericht 2016, S. 17)
- die Änderung von § 33 AsylG, so dass in Fällen von Gewalt der Verstoß gegen die Residenzpflicht nicht mehr zur automatischen Beendigung des Asylverfahrens führt;
- die Garantie, dass Frauen und Mädchen auch in beschleunigten Verfahren wie nach § 18a AsylG („Flughafenverfahren“) einen Rechtsbeistand erhalten und ihre Gewalterfahrung als Aufenthaltsgrund oder Abschiebehindernis geltend machen können;
- die ersatzlose Streichung der Ehebestandsdauer als Voraussetzung für einen eigenständigen Aufenthalt in § 31 Aufenthaltsgesetz;
- eine umfassende, wirksame und mit angemessenen Finanzmitteln ausgestattete Strategie zum Gewaltschutz für Frauen und Mädchen mit Behinderung, auch unter Berücksichtigung von Migrantinnen und Flüchtlingen;“ (CEDAW-Alternativbericht 2016, S. 23)
Wir fordern die Bundesregierung auf, ihren Vorbehalt bzgl. Art. 59 Abs. 2 und Abs. 3 der Istanbul-Konvention anlässlich der Ratifizierung des Übereinkommens zurückzunehmen und die darin enthaltenen Bestimmungen so bald wie möglich umzusetzen. Hierbei verweisen wir auch auf die Stellungnahme des KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.).
SETZEN SIE SICH EIN FÜR EINEN NICHT DISKRIMINIERENDEN ZUGANG ZU DIENSTLEISTUNGEN FÜR ALLE FRAUEN,DIE GEWALT ERFAHREN HABEN! Step up! Sign the pledge!
mehr dazu finden sie auch auf der Webseite von Picum (Platform for international cooperation on undocumented migrants) Step up! Forderungen auf deutsch